Ein Kommentar
Klöckner hat recht: Die Kirche hat ihre Rolle nicht erkannt
Julia Klöckner hat recht: Die Kirche hat in den vergangenen Jahren viele Chancen verpasst – besonders die, Orientierung zu geben in Zeiten wachsender gesellschaftlicher Verunsicherung. Stattdessen haben sich viele kirchliche Stimmen allzu oft in tagespolitische Debatten eingemischt, ohne dabei der eigentlichen spirituellen, seelsorgerischen und moralischen Aufgabe gerecht zu werden. Die Bundestagspräsidentin spricht mit ihrer Kritik einen wichtigen Punkt an – und es ist bezeichnend, wie reflexartig die politische Empörung darauf folgte.
Wer die Kritik nicht hören will, baut sich Strohpuppen
Wenn etwa Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann auf X fragt, warum sich die Kirche nicht zu Humanität und Nächstenliebe äußern solle, wird ein Strohmann aufgebaut, den Klöckner so nie ins Feld geführt hat. Es geht nicht darum, dass die Kirche zu diesen Werten schweigen soll – ganz im Gegenteil. Es geht darum, wie sie sich äußert: mit moralischer Tiefe und überparteilicher Glaubwürdigkeit, nicht als politischer Akteur im Gewand des Zeitgeists.
Lauterbach romantisiert – und verkennt die Gegenwart
Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach scheint das Anliegen Klöckners zu missverstehen – oder bewusst umzudeuten. Natürlich war das Christentum historisch auch eine Stimme der Entrechteten. Doch gerade weil es das war, war es mehr als ein politischer Akteur: Es war eine moralische Instanz. Diese Rolle wird gefährdet, wenn kirchliche Stellungnahmen mehr nach Parteipapier als nach Kanzel klingen.
Politikverdacht als Ablenkungsmanöver
Die Äußerung von Grünen-Politikerin Katharina Beck schließlich lässt tief blicken. Wer hinter jedem Aufruf zur kirchlichen Zurückhaltung in politischen Debatten gleich ein parteipolitisches Kalkül wittert, offenbart vor allem das eigene politische Misstrauen – und belegt damit unfreiwillig, wie sehr sich Kirche und politische Lager in den letzten Jahren ineinander verheddert haben.
Kirche muss mehr sein als Sprachrohr des Zeitgeists
Kirche darf unbequem sein. Sie soll mahnen, sie soll den Finger in die Wunde legen – aber mit einer Sprache, die nicht mit der Rhetorik von Parteitagen verwechselt werden kann. Sie muss mehr sein als eine moralische Staffage für politische Botschaften. Julia Klöckner hat mit ihrer Mahnung keinen Maulkorb gefordert – sondern mehr Tiefe, mehr Demut, mehr Unterscheidungsvermögen. Gerade das wäre ein Dienst an der Glaubwürdigkeit der Kirche – und am gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Mein Fazit: Ich wünsche mir eine Kirche, die Orientierung bietet – nicht Beifall vom politischen Lager
Ich teile die Einschätzung Julia Klöckners, weil ich mir eine Kirche wünsche, die Orientierung gibt, die ermutigt, mahnt und Halt bietet – ohne sich dabei parteipolitisch vereinnahmen zu lassen. Die Kirche verliert ihre moralische Kraft, wenn sie sich selbst zum politischen Akteur macht. Sie gewinnt sie zurück, wenn sie wieder aus einer eigenen, geistlichen Tiefe heraus spricht. Das ist keine Einschränkung – sondern ein Auftrag.